Mir ist neulich das Buch von Raphaëlle Bacqué „Kaiser Karl“ in die Hände gekommen. Ich wollte nur reinschnuppern und konnte es doch nicht mehr aus der Hand legen, ehe ich es zu Ende gelesen hatte. Madame Bacqué ist eine erfahrene politische Journalistin, die seit 1998 für die bekannteste Abendzeitung Frankreichs – Le Monde – schreibt und seit Jahrzehnten für ihre Portraits von französischen Politikern bekannt und respektiert ist.
Umso interessanter ist es, dass sie dem Modestar ein komplettes Buch widmete, nachdem sie ein Jahr zuvor sechs Folgereportagen über ihn in Le Monde verfasste. Die Persönlichkeit des Karl Lagerfeld ist ohne Zweifel faszinierend, auch aus Unternehmersicht. Ich möchte einige Einblicke in die Marken- und Marketingvisionen eines Menschen gewähren, der von den meisten eher für sein exzentrisches Verhalten als für strategische Züge bekannt ist.
Der Ursprung einer Modelegende
Karl Lagerfelds Karriere ist untrennbar mit der eines anderen Couturiers verbunden, der wie er 1954 bei einem Talentwettbewerb entdeckt wurde: Yves Saint Laurent, geboren und aufgewachsen in Oran (Algerien), gründete mit dem Geschäftsmann Pierre Bergé die Marke Yves Saint Laurent die sie beide zu einer exklusiven Marke entwickeln wollten. Karl Lagerfeld hingegen entwarf Schuhe für Charles Jourdan, Taschen für die italienische Marke Krizia, Mäntel für Max Mara, Brillen und sogar Unterwäsche für rund zwanzig Marken. Warum versuchte er nicht, seinen eigenen Namen zu kreieren? « Es ist eine alte Sache, die mir aus Hamburg kommt », sagt er. «Und in Hamburg ist im Gegensatz zu Oran nichts weniger schick, als seinen Namen über der Tür zu haben. Sie können ein Industrieller, ein Bankier, aber kein Ladenbesitzer sein. » Ladenbesitzer… Pierre Bergé und Yves Saint Laurent müssen es buchstäblich goutiert haben.
Diese Strategie wird bestätigt, als die Wertheimer-Brüder Alain und Gérard, die äußerst wohlhabenden Eigentümer von Chanel, diese berühmte und alternde Marke 1982 verjüngen und dem Unternehmen ein globales Luxusimage jenseits von N° 5 verleihen wollen – der Duft ist unumstritten der höchste Trumpf des Hauses. Dass ausgerechnet Karl der Nachfolger von Gabrielle Chanel wird ist eine Rache, die das Duo Saint Laurent-Bergé erstmal verdauen muss. Lagerfeld, ein großer Arbeiter, kennt die Welt von Chanel gut. Dies beruhigt vor allem Alain Wertheimer. Es ist gewagt, einen Deutschen zu wählen, um eine Marke zu verkörpern, die in Ihrer Essenz so französisch ist. « Er weiß mehr über Chanel als ich », vertraut Wertheimer seinen Verwandten an.
Markenstratege.
Lagerfeld handelte 100.000 Dollar an Kleidung aus, um die "Mode-Redakteurinnen und Freundinnen der Marke" anzuziehen. Er weiß sehr gut, wie wichtig es ist, sich um diejenigen zu kümmern, die dann seine Kleider in den Medien und bei gesellschaftlichen Veranstaltungen loben – hier erkennt man sein Genie für Kommunikation.
Das, wonach Karl Lagerfeld vor allem sucht, ist die Essenz des Stils. Die DNA der Marke. Chanel ist ein überwältigendes Erbe. Überall auf der Welt tragen Frauen immer noch seine Anzüge oder, als ultimative Hommage, Kopien seiner Kreationen. Marilyns Stimme, die flüsterte, dass sie nur ein bisschen Nr. 5 zum Schlafen trägt, verlieh dem Namen einen Hauch von Erotik. Aber vor allem sammelt das Haus Klassiker der Mode, die neu erfunden werden müssen.
Lagerfeld ist sich bewusst, dass viele ihm auflauern. Kann ein Konfektionsdesigner die Haute Couture wieder zum Leben erwecken? Kann ein Mann eine der seltenen Frauen, die in dieser Branche berühmt war, ersetzen? Kann ein Deutscher die Essenz der französischen Mode verkörpern? Er selbst sagt: "Ich habe den Chanel-Geist bewahrt, ihn aber dem heutigen Geschmack angepasst“.
Gestern verstehen um morgen neu zu gestalten.
Nach einer enttäuschenden ersten Modeschau vertieft sich Karl Lagerfeld im Archivraum des Hauses und listet die legendären Erfindungen von Coco systematisch auf. Dann führte er die Subversion ein, die die Zeiten erwarteten. Er mischt Tag und Abend, das Teure und das Billige. Die maßgeschneiderte Jacke, gekürzt und über Jeans getragen. Die berühmte Kamelie, die Gabrielle so sehr liebte, kehrt zurück, aber in einer Brosche aus Zelluloid. Die gesteppte Tasche ebenfalls, nun mit einer Kette. Alles ist da, aber alles verwandelt sich. Für die Presse fasste er seine Strategie wie immer mit einem Satz von Goethe zusammen: « Wir müssen mit Elementen der Vergangenheit eine bessere Zukunft schaffen.» Und es funktioniert. « Karl wird uns Mode beibringen », sagte Alain Wertheimer zu Jacques Polge, Chanels Parfümeur. Der Hausbesitzer hatte Flair: Ab 1984 schnellten die Verkäufe wieder hoch.
Lagerfeld gestand einmal, er habe feststellt, dass viele Menschen den „Lebenswettbewerb“ zu schnell aufgeben würden. Er gab nicht auf: « Ich möchte alles wissen, alles kennen, alles erfahren », sagte er. « Es ist eine Art intellektueller Opportunismus und leichtfertige Raserei, vielleicht oberflächlich, aber am Ende des Tages bin ich besser ausgebildet oder kenntnisreicher als die meisten Leute in diesem Beruf. »
Kaiser Karl, Raphaëlle Bacqué, Albin Michel, 2019